Menschenwürde und Fleisch
Kein Fleisch ohne Soja?
Diese Reportage präsentiert die Ergebnisse einer Feldforschung, die wir, die Romero Initiative (CIR), und unsere Partnerorganisation Repórter Brasil (RB) im Mai 2022 im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul - dem Betriebsbereich des Soja-Zulieferers COAMO - durchgeführt haben.
Dauer: 18 - 20 Min.
Inhalt
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Einleitung
1. Nach uns die Sintflut?
Currywurst und Schnitzel sind für viele weit mehr als nur Eiweißquelle. Sie gelten als Teil der nationalen Identität. So kommt es, dass Deutschland nach wie vor zu den Ländern mit dem höchsten Fleischkonsum weltweit zählt
– ca. 60 Kilogramm pro Kopf im Jahr 2020.
Hier kommt die Sojabohne ins Spiel, denn ohne sie wäre die Produktion solch immenser Mengen an Fleisch kaum möglich. Ihr Anbau erfolgt in manchen Weltregionen aber unter Bedingungen, die sich kaum mit dem Begriff der Menschenwürde in Einklang bringen lassen. Nur ist das oft schwer nachzuweisen.
Wir haben uns deshalb auf Spurensuche begeben. Unsere Reise beginnt in Münster, denn hier wird bei einem großen Futtermittelhersteller Tierfutter aus Soja produziert.
Ein Soja-Riese in MünsterMünster, NRW
Etwa 97 % dieser Hülsenfrüchte für die deutsche Futtermittelproduktion werden aus dem amerikanischen Kontinent importiert. Die bedeutendsten Herkunftsländer sind die USA, Argentinien und Brasilien. Letzteres baut allein gut ein Drittel des weltweiten Sojas an.
Auch für die Futtermittelproduktion der Agravis Raiffeisen AG mit Sitz im nordrhein-westfälischen Münster ist Brasilien die wichtigste Rohstoffquelle. Das Unternehmen existiert seit 2004 und beliefert überwiegend Betriebe mit Massentierhaltung. 2021 erzielte Agravis einen Umsatz von mehr als 7,3 Mrd. Euro und zählt damit zu den umsatzstärksten deutschen Großhändlern.
Seinen Bedarf an Soja deckt die Gesellschaft nach eigenen Angaben aus dem Jahr 2022 „zu einem Großteil über eine genossenschaftliche Kooperative aus dem Süden Brasiliens, die Agroindustrial Cooperativa (COAMO)"..
COAMO
Die Kooperative ist in 73 Gemeinden in drei brasilianischen Bundesstaaten vertreten, darunter auch in der Gemeinde Duorados im Bundesstaat Mato Grosso do Sul, wo das indigene Volk der Guarani-Kaiowá lebt.
In dieser Region kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen der indigenen Bevölkerung und den dort ansässigen Landwirt*innen. Streitpunkt ist das Land, auf dem das Soja angebaut wird. Denn dieses war einmal indigenes Land.
Auf der Spur der Sojabohne führt uns unsere Reise hierher.
Entwaldung
2. Land der Guarani-KaiowáDer brasilianische Bundesstaat Mato Grosso do Sul
Land der Guarani-Kaiowá
Referent für nachhaltige Agrarlieferketten
Rosicleide
Rosicleide Vilhalva ist eine indigene Anführerin der Guarani-Kaiowá. Sie lebt heute wieder auf dem indigenen Gebiet ihrer Vorfahren, genannt "Rancho Jacaré" in Amambai, Mato Grosso do Sul. Bevor sie und ihre Gemeinschaft zurückkehrten, wurde das vormals indigene Territorium landwirtschaftlich genutzt - auch für den Sojaanbau. Diese Nutzung brachte eine massenhafte Entwaldung des Gebiets mit sich.
Pestizide
3. Das Gift, das vom Himmel regnet
3. Das Gift, das vom Himmel regnet
Der zunehmende Einsatz von Pestiziden ist ein wachsendes Problem
Damit die Erträge der Monokulturen nicht durch Wildpflanzenwuchs ("Unkraut") und Schädlingsbefall gemindert werden, kommen Unmengen an Pestiziden zum Einsatz. Diese vernichten fast alles im Boden, mit Ausnahme der genetisch veränderten Pflanzen, und machen ihn langfristig unfruchtbar.
Die mit Flugzeugen versprühten Gifte benetzen zudem nicht ausschließlich die Plantagen.
Oftmals wird der feine Sprühnebel vom Wind weitergetragen und erreicht so die angrenzenden Siedlungen der Guarani-Kaiowá. Dort kontaminieren die Pestizide nicht nur Trinkwasser und Nahrungspflanzen, sondern gefährden auch die Menschen: Das Gift wird eingeatmet oder findet über Haut und Schleimhäute seinen Weg in den Körper.
Es kommt sogar vor, dass die Pestizide absichtlich über den indigenen Siedlungen versprüht werden – ein Verbrechen, das auch dem Staatsanwalt Marco Antonio Delfino bekannt ist, aber schwer zu beweisen. Das Problem gerate immer mehr außer Kontrolle: „Indigene Gemeinschaften leben in einer Situation, in der ihre Menschenrechte massiv verletzt werden“.
Erileide
„Unsere eigenen Pflanzen wachsen erst einmal gut, aber wenn der Zeitpunkt gekommen ist, die Pestizide zu versprühen, verdorrt alles. Während der Sojasaison sprühen sie alle zwei Wochen, manchmal sogar täglich. Sie hinterlassen alles weiß, es sieht aus, als wäre alles mit Milch bedeckt und wir sehen einen Nebel. Der Geruch ist außerdem unerträglich.“
2013 besetzte Erileide zusammen mit ihrer Familie und einer Gruppe von etwa 800 weiteren Indigenen das Land ihrer Vorfahren und wohnen jetzt dort. In der Zeit davor lebte sie am Straßenrand.
„Auf diesem Land wurden meine Großeltern vor Jahrzehnten geboren, wuchsen hier auf und heirateten.“
Es regnet Gift
Bolsonaro, der Urwald und die Pestizide
Referent für nachhaltige Agrarlieferketten
Landkonflikte
4. Der Kampf um indigenes Land
Indigene Gemeinschaften erhalten laut Gesetz das Recht, demarkierte Gebiete zu bewohnen und zu bewirtschaften. Die vormaligen Besitzer*innen werden nach der Demarkierung vom Staat entschädigt und dürfen das Land danach nicht mehr nutzen. Viele von ihnen wollen aber auf die Profite aus Holzverkauf, Viehzucht oder Soja-Anbau nicht verzichten und missachten daher die Demarkierung.
Da der brasilianische Staat gegen diese Gesetzesbrüche nur unzureichend vorgeht, nehmen Guarani-Kaiowá seit einigen Jahren ihr Land vermehrt wieder selbst in Besitz. Darauf reagieren Polizei und Landwirt*innen mit bewaffneter Gewalt.
Die Gewalt der Sojaindustrie
Die Gewalt der Sojaindustrie
In den Jahren 2016, 2019 und 2022 ereigneten sich drei gewaltsame Landkonflikte in Mato Grosso do Sul:
2019 übernahm eine andere Gruppe der Guarani-Kaiowá ein Grundstück in der Gemeinde Duorados, das heute den Namen Avae'te trägt. „Das hier war einmal ein Ort voller Wald, hier hatten wir unsere Häuser. Doch die Landwirt*innen haben alles zertrampelt und vieles mitgenommen“, erzählt eine Vertreterin der Gemeinde. Was in den drei Jahren nach der Inbesitznahme folgte, waren Angriffe und Rassismus, sowohl von Seiten der Bundespolizei als auch durch Privatpersonen.
Ganz ähnliches berichtet eine Frau, die wir interviewen konnten, als wir 2022 in Zusammenarbeit mit Repórter Brasil unsere Feldforschung unternahmen. Friedlich nahm sie zusammen mit einer Gruppe Indigener ein Areal namens Borda da Mata in Besitz, das schon ihre Vorfahren besaßen, auf dem heute aber Mais- und Sojafelder wachsen. „Wir wollen dieses Stück Land zurück. ,Tujuri‘, soll unser Tekoha heißen!“ sagt sie. Seitdem fanden mehrere Angriffe auf die Gruppe der Indigenen statt, bei denen im Sommer 2022 mindestens zwei Menschen ums Leben kamen. Wir haben darüber berichtet.
Drei Indigene berichten über die ihnen zugefügte Gewalt
Die blutige Spur des Sojas nach Deutschland
Uns liegt ein mit versteckter Kamera gefilmtes Video vor, in dem ein Mitarbeiter einer Farm auf dem Gebiet Borda da Mata aussagt, dass dort angebaute Soja an COAMO geliefert würde.
Interviewer: „Was verkaufen sie hier, Mais?“
Mitarbeiter: „Kommt darauf an; Soja, Mais...“
Interviewer: „An wen verkaufen Sie das?“
Mitarbeiter: „Amambai*, COAMO...“
Im Auftrag der CIR hat eine Journalistin unserer Partnerorganisation Repórter Brasil das Gespräch mit versteckter Kamera aufgezeichnet.
*Kleinstadt in Mato Grosso do Sul
COAMOS Rolle in den LandkonfliktenAgravis zweifelhafter Zulieferer
Agravis verteidigt seine Partnerschaft
Widerstand und Lösungen
5. Es geht auch andersAnastacio und die "Bewaldung des Verstands"
Anastacio und seine Gemeinschaft leben nach der traditionellen Weltanschauung der Guarani-Kaiowá. Diese besagt, dass der Mensch das Land nicht besitzen kann, sondern der Mensch zum Land gehört. Sie übertragen diese Haltung auf ihre Arbeit in der Landwirtschaft: Die nachhaltige Nutzung des Landes und der sorgfältige Umgang mit der Natur sind für sie von elementarer Bedeutung.
Anastacio will das Bewusstsein für die Pflege und den Erhalt der Natur wieder schärfen und für mehr Empathie im Umgang mit unserer Umwelt sorgen. Er will „nicht nur die Erde, sondern auch den Verstand wieder bewalden“.
Wie das Leben von Anastacio und seiner Gruppe im Einklang mit der Natur aussieht, zeigt das folgende Video.
Dein Einsatz für ein nachhaltiges Ernährungssystem!
Wenn wir ehrlich auf die Probleme schauen, die innerhalb globaler Lieferketten stattfinden, ist der globale Norden zu oft Nutznießer und noch schlimmer – Verursacher – von Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung. Und das insbesondere da, wo wir es weder sehen noch spüren – weit entfernt auf Sojaplantagen oder in Fabriken oder im Regenwald im globalen Süden.
Auch andere Guarani-Kaiowá wünschen sich ein Leben wie Anastacio: in einem grünen und lebendigen Tekoha. Mit der Art und Weise wie unsere Lebensmittel produziert werden, verwehren wir Menschen jedoch ihr Recht auf würdige und selbstbestimmte Arbeit und zerstören dazu noch ihre Lebensgrundlagen.
Deshalb muss unser Ernährungssystem reformiert werden. Und wir in Europa können dabei helfen, die Rahmenbedingungen und Spielregeln für nachhaltige und faire Lebensmittellieferketten zu schaffen. Das kannst du tun:
- Unterstütze Kampagnen für ein starkes europäisches Lieferkettengesetz. Damit legen wir den Grundstein für die Einhaltung und Achtung von Menschenrechten und Naturschutz durch Unternehmen bei allen ihren Geschäften im Ausland.
- Konsumier achtsam und aufmerksam: Es gibt einige Siegel, die nachhaltige und fair produzierte Lebensmittel glaubhaft und transparent zertifizieren. Wirf doch mal einen Blick in unseren Labelguide, der dir Orientierung im Label-Labyrinth bietet. Oder besuche online den Labelchecker.
- Teile diese Seite, damit noch mehr Menschen von der zerstörerischen Spur des Sojas auf unsere Teller erfahren. Wir von der Romero Initiative senden euch auf Wunsch kostenlos Materialien zu, die sich für den Einsatz im Unterricht oder in Diskussionen sehr gut eignen.
- Über den Landkonflikt in 2022 informiert euch außerdem diese Reportage von Panorama 3.
Credits
Credits
Anderson Sandoval und Dominik Groß unter Mitarbeit von Sarah Lethmate, Lua Hara Rodríguez und Michael Ascheberg (CIR)
V.i.S.d.P.:
Dominik Groß / Christliche Initiative Romero e.V.
Übersetzung ins Deutsche und Synchronstimmen:
Anderson Sandoval und Lua Hara Rodríguez (CIR)
Interview: Joana Moncau
Bilder Joana Monau & Marcos Weiske
Videobearbeitung: Lisa Backmann
Lektorat: Jan Weller und Sarah Lethmate (CIR)
Wir danken den Interviewpartner*innen Rosicleide Vilhalva, Erileide Domingues, Marco Antonio Delfino de Almeida, Anastácio Peralta und alle andere Menschen, die in dieser Reportage zitiert wurden.