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Wer zahlt für Deutschlands Fleischhunger

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Menschenwürde und Fleisch

Ohne Soja im Tierfutter wäre die Massenproduktion von Fleisch in Deutschland kaum denkbar. Den Preis für unser günstiges Fleisch zahlen aber andere, denn die Hülsenfrucht wird für Tierfutter oft unter menschenunwürdigen Bedingungen im globalen Süden angebaut.

Diese Reportage präsentiert die Ergebnisse einer Feldforschung, die wir, die Romero Initiative (CIR), und unsere Partnerorganisation Repórter Brasil (RB) im Mai 2022 im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul - dem Betriebsbereich des Soja-Zulieferers COAMO - durchgeführt haben.


Dauer: 18 - 20 Min.
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„Reicher Mann und armer Mann
standen da und sah'n sich an.
Da sagt der Arme bleich:
Wär ich nicht arm,
wärst du nicht reich.“

― Bertolt Brecht
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Einleitung

Auf dem Papier ist den Deutschen die Würde des Menschen ein hohes Gut. Ein so hohes, dass sie in Artikel 1, Absatz 1 unseres Grundgesetzes für unantastbar erklärt wird. Dem Realitäts-Check hält diese Wertschätzung aber leider oft nur bedingt stand. Das zeigt sich unter anderem am Beispiel Fleisch, einem essenziellen Bestandteil unserer Esskultur.

Currywurst und Schnitzel sind für viele weit mehr als nur Eiweißquelle. Sie gelten als Teil der nationalen Identität. So kommt es, dass Deutschland nach wie vor zu den Ländern mit dem höchsten Fleischkonsum weltweit zählt
– ca. 60 Kilogramm pro Kopf im Jahr 2020.

Hier kommt die Sojabohne ins Spiel, denn ohne sie wäre die Produktion solch immenser Mengen an Fleisch kaum möglich. Ihr Anbau erfolgt in manchen Weltregionen aber unter Bedingungen, die sich kaum mit dem Begriff der Menschenwürde in Einklang bringen lassen. Nur ist das oft schwer nachzuweisen.

Wir haben uns deshalb auf Spurensuche begeben. Unsere Reise beginnt in Münster, denn hier wird bei einem großen Futtermittelhersteller Tierfutter aus Soja produziert.




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Damit Schweine, Rinder und Geflügel möglichst schnell schlachtreif werden, erhalten sie in der industriellen Fleischproduktion in aller Regel eiweißreiches Futter. Dieses enthält meist Soja, da es reich an Eiweiß ist.

Etwa 97 % dieser Hülsenfrüchte für die deutsche Futtermittelproduktion werden aus dem amerikanischen Kontinent importiert. Die bedeutendsten Herkunftsländer sind die USA, Argentinien und Brasilien. Letzteres baut allein gut ein Drittel des weltweiten Sojas an.

Auch für die Futtermittelproduktion der Agravis Raiffeisen AG mit Sitz im nordrhein-westfälischen Münster ist Brasilien die wichtigste Rohstoffquelle. Das Unternehmen existiert seit 2004 und beliefert überwiegend Betriebe mit Massentierhaltung. 2021 erzielte Agravis einen Umsatz von mehr als 7,3 Mrd. Euro und zählt damit zu den umsatzstärksten deutschen Großhändlern.

Seinen Bedarf an Soja deckt die Gesellschaft nach eigenen Angaben aus dem Jahr 2022 „zu einem Großteil über eine genossenschaftliche Kooperative aus dem Süden Brasiliens, die Agroindustrial Cooperativa (COAMO)"..


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Coamo ist eine Kooperative im Süden Brasiliens mit mehr als 30.000 Mitgliedern. Ihr wichtigstes Exportgut sind Sojabohnen.

Die Kooperative ist in 73 Gemeinden in drei brasilianischen Bundesstaaten vertreten, darunter auch in der Gemeinde Duorados im Bundesstaat Mato Grosso do Sul, wo das indigene Volk der Guarani-Kaiowá lebt.

In dieser Region kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen der indigenen Bevölkerung und den dort ansässigen Landwirt*innen. Streitpunkt ist das Land, auf dem das Soja angebaut wird. Denn dieses war einmal indigenes Land.

Auf der Spur der Sojabohne führt uns unsere Reise hierher.
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Entwaldung

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Ein Audiobeitrag von Anderson Sandoval, 
Referent für nachhaltige Agrarlieferketten

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„Als wir hierher zurückkamen, um uns umzusehen, waren wir sehr erschrocken, denn in der Gegend gibt es heute praktisch keine Bäume mehr, alles ist zerstört.“

Rosicleide Vilhalva ist eine indigene Anführerin der Guarani-Kaiowá. Sie lebt heute wieder auf dem indigenen Gebiet ihrer Vorfahren, genannt "Rancho Jacaré" in Amambai, Mato Grosso do Sul. Bevor sie und ihre Gemeinschaft zurückkehrten, wurde das vormals indigene Territorium landwirtschaftlich genutzt - auch für den Sojaanbau. Diese Nutzung brachte eine massenhafte Entwaldung des Gebiets mit sich.
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Pestizide

Der zunehmende Einsatz von Pestiziden ist ein wachsendes Problem

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Der Sojaanbau ist in Mato Grosso do Sul rasant gestiegen. 2021 bedeckten Soja-Plantagen 33.800 km2 Fläche Land. Das ist fast doppelt so viel wie noch im Jahr 2009 (17.100 km2).

Damit die Erträge der Monokulturen nicht durch Wildpflanzenwuchs ("Unkraut") und Schädlingsbefall gemindert werden, kommen Unmengen an Pestiziden zum Einsatz. Diese vernichten fast alles im Boden, mit Ausnahme der genetisch veränderten Pflanzen, und machen ihn langfristig unfruchtbar.

Die mit Flugzeugen versprühten Gifte benetzen zudem nicht ausschließlich die Plantagen.

Oftmals wird der feine Sprühnebel vom Wind weitergetragen und erreicht so die angrenzenden Siedlungen der Guarani-Kaiowá. Dort kontaminieren die Pestizide nicht nur Trinkwasser und Nahrungspflanzen, sondern gefährden auch die Menschen: Das Gift wird eingeatmet oder findet über Haut und Schleimhäute seinen Weg in den Körper.

Es kommt sogar vor, dass die Pestizide absichtlich über den indigenen Siedlungen versprüht werden – ein Verbrechen, das auch dem Staatsanwalt Marco Antonio Delfino bekannt ist, aber schwer zu beweisen. Das Problem gerate immer mehr außer Kontrolle: „Indigene Gemeinschaften leben in einer Situation, in der ihre Menschenrechte massiv verletzt werden“.




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Erileide (30) ist Anführerin der Gurarani-Kaiowá im indigenen Gebiet Guyraroká im Südwesten Mato Grosso do Sul. Direkt neben ihrem Haus befindet sich eine Soja-Plantage.

„Unsere eigenen Pflanzen wachsen erst einmal gut, aber wenn der Zeitpunkt gekommen ist, die Pestizide zu versprühen, verdorrt alles. Während der Sojasaison sprühen sie alle zwei Wochen, manchmal sogar täglich. Sie hinterlassen alles weiß, es sieht aus, als wäre alles mit Milch bedeckt und wir sehen einen Nebel. Der Geruch ist außerdem unerträglich.“

2013 besetzte Erileide zusammen mit ihrer Familie und einer Gruppe von etwa 800 weiteren Indigenen das Land ihrer Vorfahren und wohnen jetzt dort. In der Zeit davor lebte sie am Straßenrand.

„Auf diesem Land wurden meine Großeltern vor Jahrzehnten geboren, wuchsen hier auf und heirateten.“

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Ein Audiobeitrag von Anderson Sandoval,
Referent für nachhaltige Agrarlieferketten

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Landkonflikte

In den Jahren nach 1985 setzte Brasilien einen Demarkierung genannten Prozess in Gang, der zur Anerkennung indigener Gebiete führen soll. Im ersten Schritt des Demarkierungsprozesses wird das Siedlungsgebiet der Indigenen vor ihrer Vertreibung ermittelt. Danach werden diese Regionen kartiert und ihre GPS-Daten veröffentlicht.

Indigene Gemeinschaften erhalten laut Gesetz das Recht, demarkierte Gebiete zu bewohnen und zu bewirtschaften. Die vormaligen Besitzer*innen werden nach der Demarkierung vom Staat entschädigt und dürfen das Land danach nicht mehr nutzen. Viele von ihnen wollen aber auf die Profite aus Holzverkauf, Viehzucht oder Soja-Anbau nicht verzichten und missachten daher die Demarkierung.

Da der brasilianische Staat gegen diese Gesetzesbrüche nur unzureichend vorgeht, nehmen Guarani-Kaiowá seit einigen Jahren ihr Land vermehrt wieder selbst in Besitz. Darauf reagieren Polizei und Landwirt*innen mit bewaffneter Gewalt.

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In den Jahren 2016, 2019 und 2022 ereigneten sich drei gewaltsame Landkonflikte in Mato Grosso do Sul:

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„Jeder neuer Präsident meinte, er wolle Länder demarkieren und wir haben immer gewartet. ‚Dieses Land wird uns gehören‘ dachten wir, aber es geschah nicht“, erzählt uns ein anonymer Angehöriger der Guarani-Kaiowá. Daher holte er sich durch Besetzung des Landes gemeinsam mit einer Gruppe von Indigenen 2015 ein 556 km² großes demarkiertes Gebiet in Caarapó zurück. Dort gründeten sie den Tekoha (indigenes Territorium) Kunumi. 2016, ein Jahr später wurde die Gemeinde von bewaffneten Männern angegriffen. Indigene Zeugen sagen aus, dass auch Landwirt*innen an dem Angriff beteiligt waren. Der Übergriff kostete sechs Menschen das Leben und ist als Massaker von Caarapó bekannt.

2019 übernahm eine andere Gruppe der Guarani-Kaiowá ein Grundstück in der Gemeinde Duorados, das heute den Namen Avae'te trägt. „Das hier war einmal ein Ort voller Wald, hier hatten wir unsere Häuser. Doch die Landwirt*innen haben alles zertrampelt und vieles mitgenommen“, erzählt eine Vertreterin der Gemeinde. Was in den drei Jahren nach der Inbesitznahme folgte, waren Angriffe und Rassismus, sowohl von Seiten der Bundespolizei als auch durch Privatpersonen.

Ganz ähnliches berichtet eine Frau, die wir interviewen konnten, als wir 2022 in Zusammenarbeit mit Repórter Brasil unsere Feldforschung unternahmen. Friedlich nahm sie zusammen mit einer Gruppe Indigener ein Areal namens Borda da Mata in Besitz, das schon ihre Vorfahren besaßen, auf dem heute aber Mais- und Sojafelder wachsen. „Wir wollen dieses Stück Land zurück. ,Tujuri‘, soll unser Tekoha heißen!“ sagt sie. Seitdem fanden mehrere Angriffe auf die Gruppe der Indigenen statt, bei denen im Sommer 2022 mindestens zwei Menschen ums Leben kamen. Wir haben darüber berichtet.

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Das Grundstück Borda da Mata, auf dem sich das Tekoha Tujuri befindet und wo es zuletzt zu den tödlichen Übergriffen auf Indigene kam, misst etwa zwei Quadratkilometer. Es befindet sich in einem demarkierten Bereich, der den indigenen Guarani-Kaiowá zusteht. Dessen ungeachtet wird es weiterhin agrarwirtschaftlich genutzt - nämlich für den Sojaanbau. Das größte Sojahandelsunternehmen in der Region ist Coamo. Und Coamo liefert sein Soja, wie zu Beginn dieser Reportage festgestellt, nach Deutschland - genauer gesagt: an Agravis in Münster.

Uns liegt ein mit versteckter Kamera gefilmtes Video vor, in dem ein Mitarbeiter einer Farm auf dem Gebiet Borda da Mata aussagt, dass dort angebaute Soja an COAMO geliefert würde.

Interviewer: „Was verkaufen sie hier, Mais?“
Mitarbeiter: „Kommt darauf an; Soja, Mais...“
Interviewer: „An wen verkaufen Sie das?“
Mitarbeiter: „Amambai*, COAMO...“

Im Auftrag der CIR hat eine Journalistin unserer Partnerorganisation Repórter Brasil das Gespräch mit versteckter Kamera aufgezeichnet.

*Kleinstadt in Mato Grosso do Sul





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Ein Audiobeitrag von Anderson Sandoval, Referent für nachhaltige Agrarlieferketten

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Widerstand und Lösungen

Seit 2004 lebt Anastacio Peralta im Gebiet Panambizinho in Mato Grosso do Sul. Zusammen mit seiner Familie und weiteren Guarani-Kaiowá ließ er sich dort nieder. Die Gruppe begann damit, regionale, hochwertige und nachhaltige Nahrungsmittel anzubauen.

Anastacio und seine Gemeinschaft leben nach der traditionellen Weltanschauung der Guarani-Kaiowá. Diese besagt, dass der Mensch das Land nicht besitzen kann, sondern der Mensch zum Land gehört. Sie übertragen diese Haltung auf ihre Arbeit in der Landwirtschaft: Die nachhaltige Nutzung des Landes und der sorgfältige Umgang mit der Natur sind für sie von elementarer Bedeutung.

Anastacio will das Bewusstsein für die Pflege und den Erhalt der Natur wieder schärfen und für mehr Empathie im Umgang mit unserer Umwelt sorgen. Er will „nicht nur die Erde, sondern auch den Verstand wieder bewalden“.

Wie das Leben von Anastacio und seiner Gruppe im Einklang mit der Natur aussieht, zeigt das folgende Video.


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Konzept und Texte:
Anderson Sandoval und Dominik Groß unter Mitarbeit von Sarah Lethmate, Lua Hara Rodríguez und Michael Ascheberg (CIR)

V.i.S.d.P.:
Dominik Groß / Christliche Initiative Romero e.V.

Übersetzung ins Deutsche und Synchronstimmen:
Anderson Sandoval und Lua Hara Rodríguez (CIR)

Interview: Joana Moncau
Bilder Joana Monau & Marcos Weiske
Videobearbeitung: Lisa Backmann
Lektorat: Jan Weller und Sarah Lethmate (CIR)

Wir danken den Interviewpartner*innen Rosicleide Vilhalva, Erileide Domingues, Marco Antonio Delfino de Almeida, Anastácio Peralta und alle andere Menschen, die in dieser Reportage zitiert wurden.
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